Arbeitsanstalt und NS-Zeit

Bettlerdepot

Die Hintergründe der Bettleranstalt (1802-1811)


Bereits zum Ende der mönchischen Zeit in der Abtei Brauweiler war diese ein Anlaufpunkt für Bettler*innen und Landstreicher*innen. Menschen, die Hilfe benötigten, konnten einen Tag und eine Nacht in der Abtei unterkommen, sie erhielten einen Schlafplatz und eine Mahlzeit. Nachdem die Abtei säkularisiert wurde, ordnete Napoleon 1808 die Errichtung eines Bettlerdepots (dépot de mendicité) in jedem Departement des französischen Staatsgebiets an („Decret über die Ausrottung der Betteley“). Bettler sollten von der Straße geholt, im Bettlerdepot inhaftiert und durch harte Arbeit umerzogen bzw. zu arbeitswilligen Personen korrigiert werden.
1809 dekretierte Napoleon dem Bericht seines Präfekten Ladoucette entsprechend die Einrichtung eines Bettlerdepots für das Rur-Departement in der ehemaligen Abtei Brauweiler. Hierzu ordnete er an, dass die Klostergebäude instandgesetzt, ausgebaut und für die Zwecke eingerichtet werden sollten. Die westlichen und nördlichen Flügel des Kreuzgangs fielen diesen Baumaßnahmen zum Opfer. Laut französischen Berichten waren die Kreuzgangarkaden bereits so verfallen, dass eine Instandsetzung nicht mehr möglich war.

Die Bettleranstalt unter französischer Herrschaft (1811-1815)


1811 wurde die Bettleranstalt eröffnet. Es gab eine französische Verwaltung, die Wärter*innen und das Hauspersonal kamen aus Brauweiler und der Region. Der Hauptproduktionszweig des Bettlerdepots war die Herstellung von Textilien. Die Insassen der Bettleranstalt waren zum größten Teil männlich, jung und arbeitsfähig. Im Gegensatz zu Frauen waren unverheiratete Männer eher dazu angehalten, das elterliche Haus zu verlassen und aktiv Arbeit zu suchen. Hinzu kamen kriegsverschuldete Obdachlose sowie Deserteure, die im Zuge der napoleonischen Kriege nach Brauweiler kamen.
Mit einem Fassungsvermögen von 693 Plätzen stellte die Abtei Brauweiler das viertgrößte Bettlerdepot der insgesamt 91 Departmentdepots dar. Nach unterschiedlichen Versuchen, die Bettelei in den Straßen Kölns stärker zu kontrollieren, hatte man letztlich von einer kommunalen Lösung abgesehen. Zusätzlich wurde Betteln unter Strafe gestellt, sodass die Insass*innen der Bettleranstalt einen kriminellen Stellenwert hatten.
Verschiedene Quellen, wie etwa ein Brief Ladoucettes, geben Auskunft über die Versorgung der Bettler in der Abtei. Man habe ein Belüftungssystem installiert und die Insassen erhielten Kleidung. Erhaltene Unterlagen des Depots bestätigen Ladoucettes Bild von einer guten und vielseitigen Ernährung. Auch die im Depot eingeführte Stoffproduktion rechnete sich bald und so konnte das Brauweiler in den französischen Jahren wirtschaftlich erfolgreich geführt werden.

Arbeitsanstalt

Die Arbeitsanstalt Brauweiler vor der deutschen Reichsgründung (1815-1871)


Nach der Vertreibung der Franzosen aus dem Rheinland übernahm 1815 die preußische Verwaltung die Bettleranstalt und erweiterte sie zur „Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler“. In der Arbeitsanstalt wurden Obdachlose, Landstreicher*innen, Prostituierte und Spielsüchtige zwangsweise inhaftiert und sollten durch Arbeit diszipliniert und zu produktiven Mitgliedern der Gesellschaft umerzogen werden. Außerdem gab es Sonderabteilungen für Alkoholkranke, psychisch Kranke, Land- und Ortsarme sowie schwer erziehbare Jugendliche. Die Arbeitsanstalt finanzierte und versorgte sich weitestgehend selbst und verfügte unter anderem über folgende Werkstätten: Weberei, Näherei, Schreinerei, Schlosserei, Schmiede, Korbmacherei, Schusterei, Bäckerei, Ziegelei und ab 1873 außerdem: Anstreicherei, Druckerei, Buchbinderei, Tüten- und Briefumschlagfabrik.
Die hergestellten Produkte wurden sowohl für die Anstalt selbst als auch für andere Einrichtungen des Provinzialverbandes hergestellt. Die bis zu 300 weiblichen Insassinnen waren isoliert von den Männern im sogenannten Frauenhaus untergebracht. Sie arbeiteten vor allem in der Wäscherei, der Näherei, der Bügelei und der Küche.

Die zweite Phase der Arbeitsanstalt (1871-1933)


1873 ging die Anstalt nach der Deutschen Reichsgründung vom preußischen Staat in den Besitz des rheinischen Provinzialverbandes über. Die Dauer der Inhaftierung betrug von da an mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre. In den 1880er Jahren passte sich die Arbeitsanstalt zunehmend der wachsenden Industrialisierung an: Ein 1884/85 errichtetes Gaswerk und ein Maschinenhaus bildeten die Grundlage für die „industriemäßige“ Produktion in den Werkstätten. Um 1910 war die Anstalt mit 1100 männlichen und ca. 200 weiblichen Insass*innen fast vollständig belegt. Die Belegungszahl wuchs während wirtschaftlicher Krisenzeiten und sank während der Weltkriege, in denen viele männliche Insassen Militärdienst leisten mussten. 1913 wurde der sogenannte Zellenbau im heutigen Abteipark errichtet, 1897/98 ein Arresthaus, in dem Insass*innen Einzelhaft absitzen mussten.
Die Arbeitsanstalt Brauweiler hatte einen besonders schlechten Ruf. Die Worte „Ab nach Brauweiler“ kennt die ältere Generation aus der Umgebung teilweise heute noch. Das Arbeitshaus war bekannt für eine strenge Hausordnung, sehr harte Bedingungen und Strafen. So wurden die sogenannten Korrigend*innen beispielsweise in sehr kleine Einzelzellen („Behälter“) gesperrt oder körperlich gezüchtigt. Abschreckung und wirtschaftliche Ausbeutung dominierten über das eigentliche Projekt der gesellschaftlichen Wiedereingliederung sozialer Randgruppen. Es gab außerdem unter den Insassen eine hohe Rückfallquote.

Zweiter Weltkrieg

Die Anfänge der NS-Zeit (1933-1939)


Der Direktor der Arbeitsanstalt Ernst Scheidges, welcher der Zentrumspartei nahestand, wurde 1933 – kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – unrechtmäßig verhaftet. Die Vorwürfe des Betrugs erwiesen sich dabei als haltlos. Dennoch verlor er seinen Posten und wurde durch den überzeugten Nationalsozialisten Albert Bosse ersetzt.
In der NS-Zeit verschärften sich die Repression, denen die in Brauweiler inhaftierten sozialen Randgruppen ausgesetzt waren. Arbeitsanforderungen, Regeln und Strafen wurden noch strenger. Die angeblichen charakterlichen Defizite der Insassen führte man auch auf genetische Veranlagungen und „angeborenen Schwachsinn“ zurück. Zahlreiche Häftlinge wurden im Krankenhaus Lindenburg in Köln aufgrund dieser angeblichen vererbbaren Schwächen zwangssterilisiert.
In der Folge des Reichstagsbrandes wurde am 28.2.1933 die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“ erlassen, die Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss zuließen. Personen konnten in sogenannte „Schutzhaft“ genommen werden. In dieser Zeit nahmen willkürliche Verhaftungen von politischen Gegnern der Nationalsozialisten, allen voran von Kommunisten und Mitgliedern der SPD, zu. Im April 1933 trafen die ersten Massentransporte in Brauweiler ein, wo Teile der Arbeitsanstalt zum „Schutzhaftlager“ umfunktioniert wurden. Die meisten der 200 Häftlinge kamen aus dem Ruhrgebiet. Sie wurden aus dem Lager Bergkamen-Schönhausen nach Brauweiler gebracht. Im März 1934 wurde dieses frühe Konzentrationslager Brauweiler bereits wieder aufgelöst, die Häftlinge wurden in andere Konzentrationslager verlegt.
1938 dienten Gebäude der Arbeitsanstalt als Durchgangslager für Juden aus dem Rheinland. Während der Reichspogromnacht 1938 wurden etwa 600 jüdische Menschen aus dem Rheinland für einige Tage in Brauweiler inhaftiert, bevor sie nach Dachau deportiert wurden.

Brauweiler im Zweiten Weltkrieg (1939-1945)


In den Kriegsjahren war Brauweiler Inhaftierungsort für verschiedene Widerstandsgruppen: Hierzu zählten unter anderem die polnische Heimatarmee Armia Krajowa, die französische „Action Catholique“ und das „Volksfrontkomitee Freies Deutschland“. Auch Mitglieder der Kölner Edelweißpiraten - Jugendliche, die sich der Hitlerjugend verweigerten - wurden in Brauweiler verhört, inhaftiert und teilweise von hier aus in Jugend-Konzentrationslager deportiert.
1944 wurde in Brauweiler das Gestapokommando Kütter eingerichtet. Hauptopfer des Kommandos waren osteuropäische Zwangsarbeiter*innen.
Viele der Häftlinge wurden in Brauweiler misshandelt, manche starben an den Folgeschäden der unmenschlichen Lebensbedingungen, begingen Selbstmord oder wurden zur Exekution nach Köln überstellt. Am 10. November 1944 wurden beispielsweise 13 Angehörige der Gruppe Steinbrück öffentlich und ohne Gerichtsverfahren in Köln-Ehrenfeld gehängt. Unter ihnen waren sechs Jugendliche unter 18 Jahren. Aber auch in Brauweiler selbst fanden willkürliche Ermordungen statt. 1945 wurden zwei junge osteuropäische Zwangsarbeiterinnen in Brauweiler erschossen.
Der wohl berühmteste Insasse des Gestapo-Gefängnisses war Konrad Adenauer. Er war 1944 im Rahmen der „Aktion Gewitter“ festgenommen worden. Mit Hilfe eines Freundes gelang ihm die Flucht aus einem Krankenhaus in Köln, in das er eingewiesen worden war, und tauchte unter falschem Namen im Westerwald unter. Die Gestapo nahm daraufhin seine Frau Auguste, genannt Gussie, fest und zwang sie, den Aufenthaltsort ihres Ehemannes preiszugeben - man drohte damit, ihre Töchter festzunehmen. Sie war 10 Tage in Brauweiler im Frauenhaus inhaftiert und unternahm dort einen Suizidversuch. Sie konnte gerettet werden, litt aber bis an ihr Lebensende 1948 unter den Folgen. Konrad Adenauer selbst verbrachte zwei Monate im Zellenbau in Brauweiler. Er wurde nach eigenen Aussagen den Umständen entsprechend „korrekt“ behandelt, bekam aber die Misshandlungen der anderen Häftlinge mit. Am 26. November 1944 wurde er freigelassen, da es keine Beweise für seine Verbindungen zum Widerstand gab.

LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler